Jerry Frantz

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Artiste plasticien

Président de la République  libre de Clairefontaine

Installations, vidéos, gravures, ...

Post-incunables

Ein Muskelpaket an Mann mit kahl geschorenem Kopf und Latexmaske steht mit erigiertem Penis vor dorischen Säulen. Szenenwechsel: Eine Frau befindet sich nackt vor einer Tischplatte und schneidet eine Gurke. An ihrem Arm baumelt billiger Klimbimschmuck mit Fischmotiven. Auf einem anderen Bild sitzt eine Frau mit gespreizten Beinen in hohen Stöckelschuhen auf dem Fliesenboden. Ihre Hand hat sie an ihren geöffneten Schamlippen. Neben ihr steht ein Wischmopp.

Um Sex und pornografische Darstellung in seiner intimsten Form geht es in den Bildern von Jerry Frantz. Und darum zwei ganz unterschiedliche Medien - fast sprichwörtlich - über eine Leiste zu ziehen. Frantz hat sich an den meistgeklickten Seiten des modernen Massenmediums Internet inspiriert, den Pornoseiten, um sie mit Hilfe eines sehr alten Verfahrens umzusetzen, nämlich der Druckkunst. Schon früh diente das Medium der so genannten „Schwarzen Kunst“, die ihren Namen eben nicht nur der schwarzen Druckerfarbe verdankt, der Verbreitung von weltlichen oder kirchlichen Herrschern zensiertem Gedankengut. Wohingegen Flugblätter und Pamphlete, die als „schwarze Ideen“ von den Machthabern gefürchtet waren, noch viel handwerkliche Arbeit erforderten, sind Informationen heute aufgrund der Entwicklung der modernen Kommunikationsmedien per Mausklick für jeden zugänglich.

Jerry Frantz gelingt durch die Analogie von überkommenem und modernem Massenmedium, durch die tabulose plastische Darstellung von Porno mittels eines antiken Verfahrens eine seltsame Verschiebung: Seine Bilder sind klassische Abdrucke eines aktuellen Zeitgeistes.

Sexuelle Handlungen wie Masturbation, Fellatio und Analverkehr werden bei Frantz unverhohlen dargestellt. Das ganze Spektrum menschlicher Erotik, von hetero- über homosexuelle bis hin zu sadomasochistischen Inhalten finden sich auf seinen Bildern wieder. Über 40 verschiedene Motive in traditionellem Hochdruck hat Jerry Frantz in aufwendiger Handarbeit hergestellt. Mit  Schneidemessern hat er seine Bildmotive aus den Lindenholzplatten herausgearbeitet, bevor er sie dann mit Hilfe von antiken Buchdruckpressen auf japanisches Büttenpapier übertragen hat. Mal mit schwungvoll fließendem Strich, dann wieder mit kurz gehaltenem Stichel, um Feinheiten wie die Textur einer Zungenspitze herauszuschneiden, sind ihm prägnante Zeichnungen gelungen - wobei die Holzmaserung jedoch kein Manierismus an sich ist. Bewusst hat der Künstler auf den Abdruck des Holzes verzichtet und die Druckerfarbe satt auf den Druckstock aufgetragen, damit nichts von den Einzelheiten der Bildmotive ablenken soll. Es sind vor allem die Details, die bei Frantz Anekdoten erzählen - wohingegen die implizierten Darsteller seiner Bilder eher anonym bleiben. Wie in Film-Stils hat Frantz nur Fragmente einer Person dargestellt. Die kopulierenden Körper sind genauso so unpersönlich gehalten, wie das Genre der Pornografie an sich: Es geht nicht um menschliche Beziehung, sondern um das Spiel und das Geschäft mit der Lust. Auch in der traditionellen asiatischen Kalligrafie spielt die Person keine Rolle, betont wird dagegen die Komposition einer ganzen Szenerie. Bei Frantz ist vor allem die Beschaffenheit einer Hand anekdotisch, die Art wie sie zugreift, eine Tätowierung, Fetischobjekte oder die Wahl des Schmucks, den eine Frau ums Handgelenk trägt. Diese Elemente waren denn auch ausschlaggebend für die Motivwahl bei den Internet-Sexseiten. Dabei wurden auch die auf Pornoseiten benutzen geschlechtsspezifischen Klischees von Frantz bewusst aufgegriffen und verstärkt, etwa wenn er eine nackte Frau bei einer Waschmaschine steht. Es fällt auf, dass viele Darstellungen - wie das ja auch im Internet der Fall ist - letztlich männliche Fantasien befriedigen. Insgesamt wird der Betrachter bei Frantz zum Voyeur. Er wird mit einer Sexualität konfrontiert, die auch ihre negativen Seiten hat - sofern Personen zum Sex gezwungen waren oder private Amateuraufnahmen ungewollt ins weltweite Netz gestellt wurden. Auch werfen die Bilder von Jerry Frantz in ihrer Fokussierung auf den reinen - für eine Kamera inszenierten - Geschlechtsakt die Frage nach den zwischenmenschlichen Bedürfnissen auf: Warum sind Pornoseiten so erfolgreich und welche „schwarzen Ideen“ verbreiten sie letztlich? Werden Pornoseiten normalerweise im Verborgenen konsumiert, so konfrontiert Jerry Frantz - auch wenn er durch das Medium der Kalligrafie eine gewisse Distanz schafft - den Betrachter öffentlich und unmittelbar mit der ganzen Ambivalenz dieses Genres.

Christiane Walerich

  • 01 post-incunables, xilogravure, 2009
  • 02 post-incunables, xilogravure, 2009
  • 03 post-incunables, xilogravure, 2009
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